Wie behindert bist du eigentlich?!

„Mama, ich kann das nicht so gut wie die anderen.“

„Mama/Papa, ich kann das nicht so wie die anderen.“ Oder einfach: „Ich kann das nicht.“ Sätze wie diese haben Eltern von Kindern mit Handicap vermutlich schon öfter gehört.

Auch als Video:

Wenn ich mit Eltern spreche und sie frage, wie sie darauf reagieren, kommt ganz häufig: „Ich sage so etwas wie: Ja, aber dafür kannst Du super…

  • rechnen!
  • schreiben!
  • malen!
  • reiten! etc..“

Das ist eine Möglichkeit, zu reagieren!

Und macht total Sinn, immer wieder gemeinsam mit dem Kind über seine Stärken zu sprechen. So lernt es, mehr darauf zu achten, was es schafft und worin es gut ist.

An dieser Stelle jedoch kann das Kind schnell das Gefühl bekommen, nicht ernstgenommen zu werden. Schließlich will es gerade nicht wissen, worin es überall gut ist, sondern über das sprechen, was ihm schwerfällt.

Mein Impuls:

Es lohnt sich zunächst zu fragen, was genau es damit meint, wenn es sagt: „Ich kann das nicht!“ oder „Ich bin nicht so gut wie die anderen?“

Denn das kann je nach Situation ganz unterschiedlich sein!

Beispiel: Dein Kind sagt nach dem Fußballtraining mit seiner Mannschaft:

„Ich kann das nicht, bin nicht so gut.“: Was genau fällt Deinem Kind hierbei schwer? Was ist ihm aufgefallen?

  • Möglicherweise ist das Ballschießen schwierig?
  • Vielleicht stört es auch, dass es nicht so schnell rennt?
  • Vielleicht, dass es den Ball schnell von seinen Teamkameraden abgeluchst bekommt, sobald es ihn hat?
Beispiel: Tanzen in einer Tanzgruppe:

Was ist hieran das Herausfordernde bzw. das, was Dein Kind stört?

  • Dass es findet, es macht die Bewegungen nicht so schön, wie die anderen?
  • Dass es beim Tempo der Tanztrainerin nicht mitkommt und es deshalb die Schritte nicht versteht?
  • Dass es sich langsamer bewegt als die anderen?

Und wenn klar ist, was das Kind genau stört, kann man gemeinsam nach möglichen Lösungen suchen!

Man könnte beispielsweise sagen:

„Das kann ich total gut verstehen. Dann lass uns doch nach Wegen suchen, wie Du Dich darin verbessern kannst, wenn Du das möchtest.“

Die meisten Eltern, denen ich das vorschlage, kriegen erst einmal Schnappatmung. Sie fragen sich: „Wie soll das denn gehen? Ich weiß keinen Weg! Was ist, wenn`s gar keinen gibt?“

Atme erstmal kurz tief durch! Denn Du musst am Anfang auch noch gar keine Wege bzw. Lösungen parat haben!

Du musst Deinem Kind jetzt nicht direkt zeigen, wie es lernt, schneller zu laufen, den Ball vor anderen besser zu verteidigen oder ihm schwierige Tanzschritte beibringen.

Erst einmal geht`s darum, gemeinsam Möglichkeiten zu sammeln!

Z.B. mit einem großen Blatt Papier und einem Buntstift.

Und da könnte dann beispielsweise stehen:

  • Fußball/Tanzen häufiger zu Hause üben – je nach Alter des Kindes auch, wie oft geübt werden soll,
  • Meine Physiotherapeuten/meine Ergotherapeutin fragen, ob er/sie Ideen hat,
  • Mit Freunden/Freundinnen treffen und mit ihnen öfter kicken/tanzen,
  • Meinen Trainer/meiner Trainerin fragen, ob er/sie Ideen hat,
  • Meine Geschwister um Hilfe bitten usw.
Kleiner Tipp am Rande:

Sammelt nur dann Ideen, wenn Dein Kind gut drauf ist oder zumindest in einer neutralen Stimmung! Denn wenn es traurig, niedergeschlagen oder wütend ist, dann ist sein Gehirn nicht dazu in der Lage, in Lösungen zu denken. Es wird keine Ideen haben oder alle Ideen, die Du vorschlägst, ablehnen. Verschiebt in diesem Fall die Lösungssuche auf einen späteren Zeitpunkt und lenkt Euch vielleicht erst einmal ab.

Wenn Ihr dann eine Ideenliste habt, nehmt Euch vor, sie nach und nach anzugehen.

Beispielsweise indem Ihr schaut:

  • Wann könnte ich das Fußballspielen/Tanzen zu Hause üben?
  • Wann haben meine Freunde/Freundinnen Zeit und wo könnten wir uns treffen?
  • Wann spreche ich/sprechen wir mit der Trainerin/der Therapeutin?
  • So merkt Dein Kind, es gibt Möglichkeiten, um besser zu werden und erste Schritte, die es gehen kann.

Und währenddessen…

… während das Kind die jeweilige Fähigkeit verbessert oder sich auf dem Weg dorthin macht, ist es hilfreich ihm zu vermitteln:

Vergleiche Dich hierbei nicht mit anderen! Vergleich Dich mit Dir selbst;

wo Du gestern standst, wo Du heute stehst und wo Du morgen hinwillst.

Beispielsweise indem Ihr gemeinsam ein Erfolgstagebuch anfangt und dort die kleinen und größeren Fortschritte festhaltet, die Dein Kind sammelt; mit selbst gemalten Bildern, mit Texten und/oder Fotos. Das geht, statt in einem Buch, natürlich auch auf einem Poster, das Ihr aufhängt oder ähnliches.

Wenn Dein Kind schon älter ist, legt vielleicht auch gemeinsam regelmäßig die nächsten (kleinen) Schritte fest, die Dein Kind gehen will. Was genau es diese Woche/diesen Monat üben will, um seinem Ziel näher zu kommen.

So lernt Dein Kind mehr darauf zu achten, was es selbst schafft, was seine Ziele sind und den Fokus mehr auf sich, statt auf andere zu lenken.

Knackpunkt: Es geht nicht weiter!

Wenn Ihr gemeinsam feststellt, Dein Kind kommt einfach nicht vorwärts, es gibt keine Fortschritte UND es stört sich daran bzw. ist wütend oder traurig deswegen (das muss nämlich gar nicht zwangsläufig so sein):

Dann ist das völlig in Ordnung!

Ich weiß, es ist unheimlich schwer, sein Kind leiden zu sehen. Man möchte ihm am liebsten sofort jeden Schmerz abnehmen. Aber leider gehört der zum Erwachsenwerden bzw. zum Leben dazu.

Jedes Kind leidet und erlebt Misserfolge, nicht nur Kinder mit Hemiparese!

Ein Kind ganz ohne Handicap, das z.B. Schwierigkeiten in Mathe hat, leidet ggf. auch darunter, dass es in diesem Fach immer nur Vieren und Fünfen schreibt.

Ein anderes Kind ist traurig, weil es aufgrund seines Übergewichts auf dem Klettergerüst nie bis nach ganz oben kommt. Und dabei hängen seine Freunde doch immer da oben ab.

Und wieder ein anderes Kind, eine Jugendliche ist am Boden zerstört, weil sie gerade von ihrem Schwarm erfahren hat, dass er überhaupt nicht auf sie steht.

Selbst wenn Eltern es sich wünschen: Es ist nicht möglich, Kindern Leid zu ersparen. Und ich denke, das ist auch nicht ihr Job!

Es geht viel mehr darum,

… das Kind in seinem Leid wahrzunehmen, es zu verstehen und es gemeinsam mit ihm auszuhalten. Um später wiederum zusammen zu überlegen:

Welche Möglichkeiten gibt es jetzt? Was können wir tun bzw. Dein Kind? Z.B.

  • Die Perspektive ändern und sich mehr auf den Spaß am Spiel/Sport konzentrieren, statt auf die eigenen Fähigkeiten. Hier könnte man beispielsweise als 1. Schritt gemeinsam sammeln: Was gefällt Dir am Tanzen/Fußballspielen? Warum machst Du es gerne?
  • ein neues Hobby finden – vielleicht eines, in dem die Hemiparese keine so große Rolle spielt bzw. das, was dem Kind gerade schwerfällt,
  • auch die Gruppe wechseln oder… oder…

Auch hier müssen die Lösungen nicht vorab feststehen. Es kann gut sein, dass Dein Kind seine ganz eigenen hat bzw. für sich findet.

Auf den Punkt gebracht:

Wenn Dein Kind sich daran stört, in etwas nicht so gut zu sein, verschaff` Dir zunächst einen Überblick: Was genau stört es? Was fällt ihm schwer?

Frage am besten auch, ob es daran etwas verändern will. Manchmal will man das ja auch gar nicht.

Und überlegt dann: Welche Möglichkeiten gibt es?

Ich wünsche Euch ganz viel Erfolg dabei!

Schreibe gerne in die Kommentare: Wie reagierst Du bisher, wenn Dein Kind zu Dir sagt: „Ich kann das nicht so wie die anderen?“

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