Wie behindert bist du eigentlich?!

Wie stärke ich das Selbstvertrauen meines Kindes mit Handicap?

Das ist eine der häufigsten Fragen, die mir Eltern im Coaching stellen. Und genau deshalb sitze ich gerade an meinem Schreibtisch mit einem leckeren Kaffee und schreibe diesen ausführlichen Blogbeitrag.

Ich will heute mit Dir auf verschiedenste Aspekte dieses Themas eingehen und natürlich immer wieder konkrete Tipps geben, die Du in Deinem Alltag mit Deinem Kind umsetzen kannst.

Eine andere Perspektive auf das Thema Handicap

Ich will Dir zu Anfang eine Geschichte von mir erzählen.

Als ich Teenie war, wollte ich meine Hemiparese immer verstecken. Es war mir unangenehm, wenn sie jemand bemerkte. Ich schämte mich dafür und lief lange Zeit mit den Gedanken durch die Gegend:

„Ich bin die mit der Hemiparese, mit der Einschränkung.“

Aus heutiger Sicht weiß ich:

Dieses Denken hat mich unglaublich blockiert!

Warum? Weil Sätze wie „Ich bin eingeschränkt.“ oder „Ich habe eine Behinderung.“ auf der Identitätsebene stattfinden. Und diese Ebene beeinflusst so ziemlich alles, was ich über mich selbst denke, wie ich mich fühle und wie ich handle.

Denn als ich über mich dachte „Ich bin eingeschränkt.“, sagten mir meine Glaubenssätze und Überzeugungen:

„Ich kann keinen normalen Führerschein machen.“,

„Ich kann nicht richtig rennen und mit den anderen mithalten.“ oder

„Ich kann nicht klettern.“

Und weil ich das über mich glaubte, probierte ich vieles erst gar nicht aus. Schließlich wusste ich ja: Es geht eh` nicht! Deshalb entwickelte ich viele Fähigkeiten erst gar nicht.

Das beeinflusste auch mein Verhalten. Wenn mich meine Freundinnen beispielsweise fragten: „Willst Du mit in den Kletterpark?“ oder „Willst Du mit zum Tanzen kommen?“, habe ich immer gesagt: „Nein, ich kann das wegen meiner Behinderung/Hemiparese nicht!“

Letztlich hat das wiederum auch mein Umfeld beeinflusst. Meine Mädels haben mich irgendwann gar nicht mehr gefragt, ob ich etwas Neues mit ihnen ausprobiere. Und auch meine Familie hat mir so ziemlich alles abgenommen, von dem sie dachten, es könnte zu schwer für mich sein.

Insofern hat mich dieses Denken jahrelang behindert. Es hat dazu geführt, dass ich im Hinblick auf mein Handicap wenig Selbstvertrauen aufbaute.

Deshalb war es für mich unglaublich wichtig, eine neue Identität zu entwickeln und mich statt als die eingeschränkte Janina als taffe, junge Frau zu sehen, die auch mit ihrer Hemiparese ganz viel schafft.

Worauf ich aber eigentlich hinaus will:

Wenn Du das Selbstvertrauen Deines Kindes stärken willst, lohnt es sich zwischendurch zu überprüfen:

Was denke ich eigentlich über mein Kind? Über seine Fähigkeiten, Eigenschaften, Stärken, Schwächen usw.?

Weil das viel Einfluss darauf haben kann, was das Kind später über sich selbst denkt und wie es sich fühlt.

Deshalb mein 1. Impuls: Schreibe mal auf, was Du über Dein Kind bzw. Deine Kinder denkst.

Eine Sache will ich an dieser Stelle noch betonen!

Meine frühere Einstellung hängt nicht damit zusammen, dass mir meine Eltern früher so etwas gesagt hätten wie: „Du bist behindert.“ oder „Du bist eingeschränkt. Im Gegenteil, meine Eltern haben mir immer wieder vermittelt, dass ich auch mit Hemiparese viel schaffe.

Gleichwohl waren sie davon überzeugt, dass ich immer in gewisser Weise eingeschränkt bleiben und vieles auch nicht schaffen würde. Schließlich war das ja auch die Prognose der Ärzte.

Das kindliche Selbstvertrauen entwickelt sich aber durch viele Komponenten. Klar durch Erziehung, aber auch durch die Persönlichkeitstendenz, mit der man auf die Welt kommt (Stichwort: intro- oder extrovertiert), durch Freunde und Freundinnen, Erzieherinnen, Erzieher, Lehrpersonen, ggf. auch durch Ärztinnen, Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten sowie eigene Erfahrungen. Durch alle diese Komponenten wurde auch mein Selbstvertrauen geprägt.

Aber heute soll`s ja darum gehen, was Du als Mama bzw Papa. konkret tun kannst, nicht darum, worauf Du vielleicht gar keinen Einfluss hast.

Hier eine Idee für Dich und Dein Kind:

Malt oder schreibt mal gemeinsam die Stärken, positiven Eigenschaften und Fähigkeiten Deines Kindes auf ein großes Poster. All das, was es (gut) kann, was es gerne mag und macht, vielleicht auch seine bisherigen Erfolge. Ihr könnt das Poster auch mit tollen Fotos verzieren, die Ihr in der Vergangenheit gemacht habt.

Hängt das Poster anschließend dort auf, wo Dein Kind häufig vorbeiläuft. Z.B. im Kinderzimmer über den Schreibtisch, in den Flur oder die Küche.

Ergänzt das Poster im Laufe der Zeit mit weiteren Stärken und/oder Erfolgen.

Warum das Ganze? Weil Dein Kind so das, was es gut kann und was es auszeichnet, immer wieder sieht und wahrnimmt. Es weiß, was es schon schafft und kann; eine gute Grundlage für die Entwicklung von Selbstvertrauen.

Berufsträume von Kindern

„Wenn ich groß bin, will ich Fußballer werden.“

„Wenn ich groß bin, will ich Feuerwehrfrau werden.“

„Wenn ich groß bin, werde ich Artistin.“

Kinder (besonders im Alter zwischen 5 und 10 Jahren) haben viele Wünsche, was ihre spätere Laufbahn angeht. In meinen Coachings mit Eltern von Kindern mit Handicap merke ich immer mal wieder: Das ist ein heikles Thema für viele.

Wenn ihr Kind einen so sportlichen Berufswunsch äußert, denken die meisten: „Oh, das wird schwierig.“ Logisch, selbst Menschen ohne Handicap haben Schwierigkeiten, diese Berufe zu verwirklichen!

Viele Eltern gestehen mir dann auch, dass es ihnen leidtut, dass ihr Kind diesen Beruf später wohl nicht ausüben kann. Total verständlich! Und gleichzeitig lohnt sich auch hier ein anderer Blickwinkel auf das Thema. Dazu komme ich gleich. Vorab:

Wenn ich frage, wie die jeweiligen Eltern auf den Berufswunsch ihres Kindes reagieren, sagen manche: „Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass es in anderen Dingen vielleicht besser ist, z.B. im Rechnen, Schreiben etc.“

Meine Oma hat ab und an zu meinen Berufsträumen gesagt – ich wollte mit 5 Jahren Kellnerin werden, ab 7, 8 Jahren dann Sängerin und Tänzerin – „Das wird mit Deiner Hemiparese vermutlich nicht klappen.“ Sie meinte es absolut nicht böse. Sie wollte nur verhindern, dass ich später nicht enttäuscht sein würde, wenn ich es nicht schaffe. Gleichzeitig hatte es vermutlich keinen so positiven Einfluss auf mein Selbstvertrauen. Ich lernte früh, was ich scheinbar nicht können würde.

Andere Eltern wiederum sagen bewusst wenig dazu oder einfach „Ach toll/interessant.“; einfach um den Berufstraum des Kindes nicht zu bewerten, ihm nicht direkt zu sagen: „Das wird nicht gehen.“

Ein Impuls, der mir dazu einfällt:

Wenn Du es nicht schon gemacht hast, frage in solchen Momenten vielleicht mal nach: „Was findest Du toll an einem Fußballer, einer Feuerwehrfrau, einer Artistin?“ oder „Was interessiert/begeistert Dich daran?“

Wenn man mich früher gefragt hätte: „Was findest Du toll an Kellnern?“, hätte ich vermutlich NICHT gesagt: „Dass sie so viel auf einmal tragen können.“

Ich hätte gesagt: „Dass sie immer gute Laune haben.“ Das hätte meine Familie vermutlich überrascht.

Aber es stimmte. Alle Kellnerinnen und Kellner, denen ich bis dahin begegnet war, waren immer super nett zu mir und gut gelaunt. Wenn mein Vater von seiner Arbeit nach Hause kam, war das oft nicht der Fall.

Ich wollte schon früher einen Beruf, der mir Spaß macht und Kellnern war ein Beruf, den ich kannte und damit in Verbindung brachte. Später (3, 4 Jahre danach) wäre mir dann wohl auch aufgefallen, dass zum Kellnern mehr gehört, als nur gute Laune. Ob ich dann noch Lust darauf gehabt hätte? Keine Ahnung!

Ein 7, 8 jähriger Junge, der Fußballer werden will, will das auch nicht unbedingt, weil er sich wünscht, total sportlich und fit zu sein. Möglicherweise gefällt ihm auch, wie Fußballprofis in unserer Gesellschaft gefeiert werden. Vielleicht findet er die Mannschaftstrikots so cool oder den Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft.

Es lohnt sich, genauer nachzufragen, was Dein Kind an seinem Wunschberuf gefällt. Oft entstehen daraus sehr interessante Gespräche. Ein weiterer Vorteil: Du stärkst dadurch das Selbstvertrauen Deines Kindes. Du zeigst ihm, dass Du Dich für seine Meinung interessierst. Es fühlt sich dadurch ernst- und wahrgenommen und lernt: „Meine Meinung ist auch wichtig.“; vor allem, wenn Du nicht nur im Hinblick auf seine Berufswünsche Nachfragen stellst, sondern immer wieder auch im Alltag.

Ein letzter Impuls:

Kinder lernen, wie Du vermutlich schon x-mal gelesen hast, durchs Abschauen und Vorleben. Insofern spielt auch Dein eigenes Selbstvertrauen eine wichtige Rolle in diesem Kontext.

Meine Empfehlung, überlege mal für Dich:

Wieviel Vertrauen hast Du in Dich und Deine Fähigkeiten?

Und was kannst Du gut? Was eher weniger?

Vielleicht auch:

Feierst Du Dich, wenn Du einen Erfolg hattest?

Wie gehst Du mit Dingen um, die Dir (noch) schwerfallen? Probierst Du`s geduldig weiter? Fährst Du schnell aus Deiner  Haut, wenn Dir etwas nicht gelingt? Oder lässt Du vielleicht gleich sein, was Du nicht schaffst?

Wie gehst Du generell mit Dir um? Nachsichtig oder eher ungeduldig?

Ich weiß aus eigener Erfahrung, es ist nicht einfach, sich mit Fragen wie diesen auseinanderzusetzen. Und gleichzeitig kann es sehr hilfreich sein, weil man viel über sich erfährt und auch darüber, wie man das eigene Selbstvertrauen ggf. weiter stärken kann.

Und wenn Du auf Dich und Deine Fähigkeiten vertraust, aber auch weißt, wo Deine Grenzen liegen und damit offen umgehst, bist Du ein tolles Vorbild für Dein Kind! Und ich bin mir sicher: Es wird sich viel von Deinem Selbstvertrauen abschauen.

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