Wie behindert bist du eigentlich?!

Ein schmaler Grat

Hin und wieder bekomme ich den Hinweis von Eltern von Kindern mit Handicap:

„Hey Janina, ich finde, manchmal übertreibst Du es. Du setzt Dir immer Ziele, die für Menschen mit Hemiparese scheinbar unerreichbar sind. Ich finde, es ist völlig okay, Dinge auch mal nicht zu können.“

Ich hau`s jetzt mal kurz raus:

 Liebe Mamas, Papas und Verwandte da draußen, Ihr habt absolut Recht: Man muss nicht alles können. Meine Oma hat diesen Satz früher übrigens auch geliebt und immer wieder zu mir gesagt!

Man muss als Mensch mit Hemiparese nicht toprope klettern können, man muss nicht skifahren als Ziel haben oder andere sportliche Dinge, so wie ich sie mir immer wieder als Ziel setze! Ich finde aber, sich als Ziel zu setzen, (wieder) richtig mit Messer und Gabel essen zu können, besser zu laufen, rennen zu können oder den Arm weiter ausstrecken zu können, sind durchaus Ziele, die es sich lohnt zu verfolgen, wenn man das will.

Denn, jetzt mal die Frage: Angenommen, Du als Mama würdest Dir heute ein Bein brechen und könntest deshalb erstmal nicht mehr in Deinem Job arbeiten und Deine Kinder versorgen. Du müsstest auf der Couch liegen bleiben. Ist es dann immer noch okay, gerade nicht alles zu können? Oder ist es dann doch ein bisschen scheiße??? Und der Beinbruch ist nicht einmal dauerhaft, sondern nur vorrübergehend.

Meine Oma z.B., die es früher immer nicht verstand, dass ich so traurig war, wenn ich etwas nicht schaffte, versteht mich heute besser denn je. Denn sie ist heute viel eingeschränkter als früher. Sie ist nicht mehr so gut zu Fuß, hat öfter Schmerzen, kann vieles nicht mehr, was einmal selbstverständlich war. Und das nervt sie tierisch; ganz ähnlich wie ich früher frustriert war, wenn ich etwas nicht konnte!

Die Antwort: „Es ist okay, nicht alles zu können!“ stimmt voll und ganz! Doch, wenn man tatsächlich eine Einschränkung hat und wirklich vieles nicht kann, sieht die Sache mit der Akzeptanz dessen plötzlich oft ganz anders aus!

Jetzt wieder eine andere Perspektive:

 Um ehrlich zu sein, ich hätte selbst nie gedacht, dass ich mir einmal das Ziel setzen würde: „Ich will klettern können.“ oder „Ich will beidhändig Klavier spielen können.“. Beides und auch viele meiner anderen Ziele muss man nicht können bzw. erreichen; weder mit noch ohne Handicap.

Und ich kann gut verstehen, dass ich dadurch den Eindruck erwecke: Ich akzeptiere meine „Schwächen“ nicht. Und zu einem gewissen Grad stimmt das auch:

Ich akzeptiere nicht mehr, dass ich wegen meiner Behinderung nicht mit zum Kart fahren mit Freunden gehen kann, ich akzeptiere nicht mehr, dass ich mich auf der Tanzfläche in der Disco immer unwohl gefühlt habe, weil alle um mich herum immer besser tanzen konnten als ich.

Und klar, ich hätte mich auch hinsetzen können und daran arbeiten, es hinzunehmen; hab ich ja auch 21 Jahre lang irgendwie geschafft. Aber dann habe ich durch meinen Coach einen Weg gefunden, wie ich meine Hemiparese verbessere, so dass viele Schwächen heute gar nicht mehr da sind. Bei mir heißen diese Dinger auch deshalb nicht mehr „Schwächen“, sondern „Herausforderungen“, denen ich mich stellen kann, wenn ich das will oder eben auch nicht.

Herausforderungen, wie z.B. ein schweres Sofa zu tragen oder ein großes Regal zusammenzubauen, interessieren mich nicht. Da akzeptiere ich voll und ganz, dass ich durch meine Hemiparese, (vor allem aber auch aus Desinteresse) große Schwierigkeiten damit haben würde.

Was ich auf keinen Fall will:

Anderen Betroffenen das Gefühl geben, sie müssten alles schaffen! Im Gegenteil: Wenn Du Dich gut fühlst, mit dem, was Du schaffst, dann bleibe genau dabei!

Was ich auch nicht will ist, Eltern das Gefühl zu geben, sie müssten ihr Kind fördern, fördern, fördern bis es mal so viel kann, wie ich. Im Gegenteil, zu viel fördern schadet eher, als das es hilft.

Ab einem gewissen Alter wird das Kind sowieso selbst entscheiden, was es macht und was nicht. Ich z.B. war als Kind oft sehr ungern bei der Therapie und hatte wenig Lust, die Übungen zu Hause zu machen, die mein Therapeut meiner Mutter empfohlen hat. Hätte meine Mutter mich zu noch mehr Therapien geschleppt oder mich regelmäßig dazu gezwungen, die Übungen zu machen, hätte es vermutlich trotzdem nichts gebracht, einfach weil ich mich verweigert hätte. Mein Handicap verbessern stand früher für mich nicht so im Fokus; und das ist aus meiner heutigen Sicht auch völlig in Ordnung. Und heute hat sich das verändert, weil ich als Erwachsene diese Entscheidung getroffen habe. Insofern: Das eigene Kind zu fördern ist super, was es letztendlich daraus macht, ist seine bzw. ihre Entscheidung.

Was ich will ist…,

… anderen Betroffenen zu zeigen, dass man, wenn man sich in seinem Körper eingeschränkt fühlt und gerne mehr könnte, sich nicht mit dem zufrieden geben muss, was schon möglich ist. Sondern, dass es (fast) immer Wege gibt, die eigene körperliche Situation zu verbessern und sich dadurch besser, wohler und sicherer in seinem Körper zu fühlen.

Und wie gesagt, es müssen absolut nicht „große“ Ziele sein, die man sich setzt (so wie ich das gerne mache). Es können ganz kleine Ziele sein, Hauptsache, sie motivieren einen und man hat Spaß, an ihnen zu arbeiten.

Und wenn man nichts an seinem Handicap verbessern will oder es ganz anders (vielleicht weniger zielorientiert) angeht als ich, ist das völlig okay. Die Hauptsache ist: Man fühlt sich gut dabei!

Und wobei ich Eltern unterstützen will ist, ein bisschen mehr zu verstehen: Wie ist es, ein Handicap zu haben? Wie ist es, wenn man z.B. frustriert ist, weil etwas Bestimmtes nicht geht? Was hat mir in meiner Kindheit geholfen und was eher nicht? Welche Förderungen/ Therapien/ Hilfsmittel könnten hilfreich sein usw.

Jetzt kennst Du meine Perspektive auf das Thema, was ist Deine? Schreibe es in die Kommentare!

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