Wie behindert bist du eigentlich?!

Wann fördere ich mein Kind genug?

Im Gespräch mit Eltern von Kindern mit körperlichem Handicap taucht immer wieder eine Frage auf: Fördere ich mein Kind genug? Oder auch: Überfordere ich es?

Wenn Du selbst Mama oder Papa bist, hast Du Dich das vielleicht auch schon gefragt.

Eltern im Zwiespalt

Ich bekomme regelmäßig mit, dass Eltern ihr Kind einerseits bestmöglich unterstützen wollen; sie gehen zur Physiotherapie, zur Frühförderung, beantragen Orthesen und Laufhilfen für es, motivieren es spielerisch, seine betroffene Hand mehr einzusetzen usw. 

Andererseits fragen sich viele: Wann ist genug genug? Wann überfordere ich vielleicht auch?

Diesen Zwiespalt kennen auch viele Erwachsene mit Handicap!

Viele meiner Klienten, die eine Hemiparese oder eine ähnliche körperliche Situation haben, fragen sich oft: Trainiere ich genug? Sollte ich noch mehr machen?

Und natürlich habe auch ich mir diese Fragen schon oft gestellt.

Klar ist: Jedes Kind und jede körperliche Situation ist anders!

Jedes Kind braucht unterschiedlich viel Förderung und Unterstützung. Man kann leider nicht sagen: „Mach täglich mit Deinem Kind das und das und Du hast folgendes Ergebnis“. Schön wärs! 

Aber es gibt trotzdem etwas, das helfen könnte, wenn auch Du Dir die Frage stellst: Ist die Förderung, die ich leiste, die richtige für mein Kind?

Tipp für Eltern von Kindern ab 5, 6 Jahren

(unten im Beitrag findest Du auch einen Tipp, wenn Dein Kind noch jünger ist).

Entwickle gemeinsam mit Deinem Kind einen Plan. Schreibt gemeinsam die Tage von Montag bis Sonntag nebeneinander auf ein großes Blatt Papier auf. Schnappt Euch anschließend einen Stapel bunter Klebezettel. Auf diese schreibt und/oder malt Ihr einzeln auf, was Ihr die Woche über alles tun wollt; z.B. 

  • Wenn Dein Kind eine Orthese trägt: Mehrere Klebezettel für „Orthese tragen“ oder „Laufhilfe tragen“ (wie auch immer Ihr das zu Hause nennt); mehrere deshalb, weil die Orthese ja wahrscheinlich nicht nur an einem Tag in der Woche getragen werden soll.
  • ein/ mehrere Klebezettel für „Physio-“, „Ergotherapie“ und oder „Frühförderung“,
  • ein/ mehrere Klebezettel für „Bastelaktionen“, „Fingerspiele“, „mit beiden Händen in der Küche helfen“ oder ähnliches; das, was Ihr halt zu Hause macht, um spielerisch zu trainieren.
  • Ein/ mehre Klebezettel, wo drauf steht: „Pause“, „Auszeit-Tag“ oder „spielen“. 

Wenn Du z.B. gerade mit Deinem Kind Fahrradfahren oder schwimmen übst, könnten auch Zettel damit beschriftet bzw. bemalt werden.

Und wenn Ihr fertig seid, verteilt Ihr die Zettel gemeinsam auf die einzelnen Tage. Ein Beispiel:

Montags:

  • „Mit beiden Händen in der Küche helfen“
  • „schwimmen üben“
  • „Orthese tragen“

Dienstags:

  • „Physiotherapie“
  • „Orthese tragen“

usw.

Sonntags:

  • „Auszeit-Tag“

Und diesen Plan setzt Ihr dann gemeinsam erstmal für 2 Wochen um. Währenddessen beobachtest Du: Wie funktioniert dieser Plan für Euch beide? Wie reagiert Dein Kind? Wie passt er zu Dir?

Und nach 2 Wochen schaut Ihr gemeinsam nochmal: Passt der Plan für uns? Was läuft gut? Wo müssen/ können wir etwas ändern?

Klar ist: Nicht jeder Tag ist wie der andere!

Dein Kind ist nicht jeden Tag gleich fit. Manchmal passt der Plan auch nicht zum Tag. Wenn Dein Kind an einem Tag beispielsweise mal total müde ist, weil es die Nacht über schlecht geträumt hat, macht es natürlich keinen Sinn, trotzdem schwimmen zu üben, zur Physio zu gehen und abends womöglich noch zu basteln. Dann schmeißt lieber den Plan an diesem Tag um und macht weniger oder auch mal gar nichts.

Der Vorteil an diesem Plan:

Ihr legt ihn gemeinsam fest. Dein Kind entscheidet aktiv mit. Natürlich kann es nicht jede Entscheidung selbst treffen. Ich kenne beispielsweise ein paar Kinder, die ihre Orthese am liebsten gar nicht tragen würden, wenn sie die Wahl hätten. Hier müssen definitiv die Eltern entscheiden, wann sie sie tragen und wann nicht.

Ein weitere Vorteil: Du hast als Mama bzw. Papa eine Orientierung, Du weißt, wann Du was machst und kannst jederzeit beobachten, wie es bei Deinem Kind ankommt. Und Ihr sprecht gemeinsam darüber.

Noch ein Tipp für den Plan:

Kinder mit 5, 6 Jahren lernen ja gerade erst, was eine Woche ist und was ein Wochentag ist. Sie haben oft noch keinen Bezug zu: „Heute ist Montag.“, „Morgen ist Dienstag“ usw.

Da kann es helfen, wenn Ihr z.B. eine Wäscheklammer an den jeweiligen Tag heftet. Ist Montag, hängt die Wäscheklammer über „Montag“, ist Dienstag, wandert die Klammer einen Tag weiter usw.

Tipp für Eltern von jüngeren Kindern:

Kleinere Kinder können natürlich noch nicht so viel mitentscheiden und sagen, was ihnen gefällt und was nicht. Dennoch kann es Sinn machen, dass Du für Dich mal überlegst, wann Du, was mit Deinem Kind machst, um es zu fördern. 

Häufig ist es nämlich so, man fragt sich, „Fördere ich mein Kind genug?“, hat aber in dem Moment gar nicht so ganz im Kopf, was man alles schon dafür tut. Das Aufschreiben hilft dabei, erste Orientierung zu finden. 

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich mir zum 1. Mal die Frage gestellt habe: „Trainiere ich genug?“. In dem Moment fiel mir nur ein, was ich alles nicht machte und noch machen könnte.

Aber als ich mir aufgeschrieben habe, wann ich wie mit meiner Hemiparese trainiere, ist mir klargeworden: „Wow, ich mache schon ganz schön viel! Und ich brauche gerade gar nicht mehr zu machen.“. 

Mein Tipp: Schreibe auf, was Du alles machst, um Dein Kind zu unterstützen. Und danach überlege mal:

  • Was daran gefällt Dir gut?
  • Bei welchen Dingen merkst Du: „Das gefällt auch meinem Sohn/ meiner Tochter!“ oder „Das bringt ihn/ sie weiter!“
  • Was passt vielleicht weniger zu Euch?
  • Wo willst Du etwas verändern und ggf. mehr oder weniger machen?

Ich kann mir gut vorstellen, dass Du dadurch ein Stück mehr Sicherheit gewinnst, wenn es um die Unterstützung und Förderung Deines Kindes geht.

Wenn Du magst, entwickle gerne danach auch mal einen Plan für Euch, in dem Du festhältst, wann und wie Du mit Deinem Kind üben willst. Nutze dafür gerne die Anleitung aus dem obigen Abschnitt „Tipp für Eltern von Kindern ab 5, 6″. Probiere den Plan 1, 2 Wochen aus und beobachte dabei: Passt das so? Wie reagiert Dein Kind? Wie passt der Plan zu Dir?

Ich wünsche Dir und Euch ganz viel Erfolg und Spaß beim Planen! Schreibe gerne in die Kommentare:

Wie gefallen Dir die Tipps? Willst Du selbst mal, entweder alleine oder gemeinsam mit Deinem Kind so einen Plan erstellen?

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