Wie behindert bist du eigentlich?!

Eure Fragen – meine Antworten

Seit ca. 4 Jahren bekomme ich regelmäßig E-Mails mit Fragen von Eltern, die ein Kind mit Handicap begleiten. Und gerade in den letzten Wochen und Monaten waren viele spannende dabei. Auf 3 von ihnen will ich heute näher eingehen. Denn vielleicht beschäftigen Dich aktuell ähnliche Themen im Hinblick auf Dein Kind.

Legen wir los.

Frage Nr. 1:

Diese Frage wird ganz häufig gestellt:

Was hat Dir in Deiner Kindheit mit Hemiparese geholfen, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein aufzubauen? Und was eher weniger?

Was mir da spontan einfällt:

Es hat mir sehr geholfen, dass meine Hemiparese selten ein Thema in meiner Familie war.

Klar, ich ging zur Physiotherapie, zur Frühförderung und zum therapeutischen Reiten, hatte manchmal Arztbesuche – aber sonst hatte ich eigentlich eine ziemlich normale Kindheit. Ich habe gespielt, gelernt, ich liebte Ponys, ich hatte immer gute FreundInnen.

Meine Eltern haben meine Hemiparese mit mir sehr selten thematisiert, fast nur dann, wenn ich wollte und z.B. Fragen hatte oder unsicher war.

Ansonsten war ich einfach Janina. Und ich glaube, das hat mir sehr geholfen, Selbstvertrauen aufzubauen.

Was mir auch geholfen hat:

Ich konnte fast alles ausprobieren, was ich wollte.

Reiten z.B., Skifahren, Flöte spielen (bei mir dann die Einhandflöte), später Gesangsunterricht, Castings und sogar Auftritte bei Musicals. Das war der Hammer!

Ich bin dabei zwar auch immer mal wieder enttäuscht worden oder gescheitert, aber auch das machte mich oftmals eher stärker anstatt schwächer. Ich lernte, so wie jedes andere Kind, damit umzugehen.

Was mir nicht so sehr geholfen hat:

Wenn ich als kleines Mädchen (zwischen 4 und 9 Jahren) gesagt habe: „Ich will Kellnerin werden.“ oder „Ich werde Tänzerin.“, dann haben meine Oma, manchmal auch meine Eltern gesagt: „Das wird mit Deiner Hemiparese schwierig.“ oder „Das wirst Du wahrscheinlich nicht schaffen.“

Mir ist natürlich bewusst, dass sie mich durch ihre Reaktion davor bewahren wollten, später enttäuscht zu werden. Dennoch hätte ich`s mir anders gewünscht.

Vielleicht, dass sie zunächst gefragt hätten: „Was findest Du am Kellnern toll? Was interessiert Dich daran?“

Dann hätte ich nämlich gesagt: „Dass sie immer gute Laune haben.“

Und das war so! Wann immer wir in einem Restaurant waren, sah ich nur gutgelaunte KellnerInnen.

Ich wollte schon als kleines Mädchen später etwas machen, was mir wirklich Spaß macht, bei dem ich fröhlich sein kann.

Und dadurch hätten sich tolle Gespräche über Berufe entwickeln können, natürlich je nach meinem Alter ganz unterschiedliche.

Wobei ich auch der Meinung bin, gerade junge Kinder, egal ob mit Handicap oder ohne, sollten einfach träumen können, egal ob von einer Karriere als SängerIn, Fußballprofi, Ballerina oder… oder.

Denn seien wir ehrlich, auch Kinder ohne Handicap können später nicht jeden Beruf ausführen, den sie wollen. Auch diese Kids können im Laufe ihres Lebens die Erfahrung sammeln: Aufgrund meiner Größe, meines Gewichts, meines linken Fußes etc. kann ich keine Ballerina, kein Fußballstar oder KellnnerIn werden. Und das ist völlig okay!

Zurück zur Frage, was hat mir geholfen, was eher weniger: Ich finde, meine Eltern und Familie haben sehr viel richtig gemacht, worüber ich sehr happy bin.

Schreibt doch gerne mal in die Kommentare, wenn Du selbst ein Handicap hast: Was hat Dir geholfen, Selbstbewusstsein aufzubauen?

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Kommen wir zur 2. Frage:

Wann haben Dir Deine Eltern von der HP erzählt und wodurch sie entstanden ist?

Puh, schwierige Frage:

Ich bin mir ziemlich sicher, es gab kein klärendes Gespräch, in dem mir meine Eltern erzählt haben: „Du hast eine Hemiparese, weil Du vermutlich in Mamas Bauch einen Schlaganfall, eine Hirnblutung oder Ähnliches hattest. Deshalb kannst Du heute Dein rechtes Bein und Deinen rechten Arm nicht so gut bewegen.“

Das gab`s nicht, auch nicht in kindgerechteren Worten. Ich muss aber auch ehrlich sagen, dass ich meine körperliche Situation ziemlich selten infrage gestellt habe. Sie war halt da, nervte mich manchmal, aber ich konnte sie ja auch nicht „weghexen“.

Ich weiß jedoch aus Coachings und Gesprächen mit Eltern und Kindern, dass es bei vielen Kindern anders ist, dass sie viele Fragen haben.

Und, wenn Du merkst, Dein Kind fragt ganz viel oder beschäftigt sich viel mit seiner Situation, würde ich empfehlen:

Mache es in einer ruhigen Minute zum Thema, sprich darüber, gehe auf die Fragen ein. Es hängt natürlich vom Alter Deines Kindes ab und seiner Reife, wie genau Du es thematisierst, was Du sagst, was vielleicht auch nicht.

Aber ich würde es zum Thema machen.

Ich würde vielleicht auch überlegen: Falls Dein Kind daraufhin traurig ist, was ja absolut okay und völlig verständlich wäre, wie könntest Du es später wieder aufbauen?

Was kannst Du oder was könnt Ihr gemeinsam tun, damit Dein Kind merkt:

Es zeichnet noch viel mehr aus, als sein Handicap, dass es auch mit Handicap ganz vieles schafft und dass es genau richtig ist, wie es ist.

Einigen Familien hilft hier beispielsweise ein Erfolgs- oder Stärkentagebuch, in dem regelmäßig gemeinsam festgehalten wird (mit Text, Bildern oder Zeichnungen), was das Kind so alles geschafft und welche Stärken es (entwickelt) hat. Statt eines Tagebuchs könnte man auch ein Erfolgs- und Stärkenposter basteln.

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Kommen wir zur letzten Frage:

Und sie kommt von Eltern mit einem fast 3 jährigen Mädchen mit Hemiparese. Sie fragen:

Konntest Du als Kind gut bzw. normal durchschlafen?

Die Antwort: Ja, konnte ich die meiste Zeit. Wenn ich krank war, dann schlief ich oft unruhig. Aber sonst konnte ich meistens gut und vor allem viel schlafen.

Schreib doch mal kurz in die Kommentare: Wie ist das bei Deinem Kind? Kann es gut schlafen?

Ich weiß aus der E-Mail der Eltern, …

… dass ihre Tochter nach wie vor schlecht einschläft und viel Nähe zu ihren Eltern währenddessen braucht. Und dass das möglicherweise auch mit ihrem Schlaganfall zusammenhängt, da sie dadurch Spannungen im Schlaf nicht so gut abbauen kann.

Was ich hier machen würde:

Ich würde ärztlich abklären und untersuchen lassen, falls noch nicht geschehen. Einfach, um sicher zu gehen, dass kein medizinisches Problem vorliegt.

Gleichzeitig ist es so, ich kenne viele Kinder ohne Schlaganfall, die auch regelmäßig Schwierigkeiten haben, einzuschlafen oder durchzuschlafen. Es muss nicht zwangsläufig mit dem Schlaganfall zusammenhängen. Das löst natürlich nicht direkt das Problem, aber vielleicht kann es etwas beruhigen.

Was ich parallel machen würde:

Ich würde mir die Abende näher anschauen. Wie laufen die für gewöhnlich ab?

Wann gibt`s Abendessen? Wann werden die Zähne geputzt? Was passiert dazwischen? Gibt`s genug Momente, um runterzukommen, zu entspannen, bevor es ins Bett geht?

Es lohnt sich auch zu reflektieren:

Wie bin ich selbst als Mama bzw. Papa am Abend? Eher angespannt vom Tag oder komme ich auch runter?

Und auch: Was hat mein Kind heute erlebt? Gab`s viel zu verarbeiten? War`s ausgelastet? Gabs entspannte Momente zum Runterkommen?

Und der Morgen:

Wie geht der Morgen los? Was passiert als erstes, was danach? Bin ich als Mama bzw. Papa dabei entspannt oder angespannt? Wie ist mein Kind drauf?

Heißt:

Ich würde um den Schlaf herumschauen: Wo gibt`s Anknüpfungspunkte, Dinge, die man ggf. umstellen könnte, um abends leichter zur Ruhe zu kommen?

Auch die Frage nach Ausnahmen könnte helfen: Gibt`s Tage, an denen es dem Kind leichter fällt einzuschlafen? Was ist an diesen Tagen anders?

Ich könnte jetzt noch viele weitere Ansatzpunkte nennen, ich denke aber, das würde hier zu weit führen, weil das Thema Schlaf einfach sehr individuell ist. Jedem hilft etwas anderes.

Ja, das waren die 3 Fragen. Hast Du weitere Fragen, die Dich interessieren?

Entweder zu mir oder auch ganz allgemein zum Thema Handicap und Hemiparese?

Vielleicht beschäftigt Dich auch ein Thema im Hinblick auf die Förderung Deines Kindes? Oder oder…

Schreibe mir gerne Deine Fragen in die Kommentare oder via Mail an info@wie-behindert-bist-du-eigentlich.de

Dann gehe ich gerne in einem meiner nächsten Beiträge darauf ein, selbstverständlich anonym.

Ich freue mich auf Deine Fragen!

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