Wie behindert bist du eigentlich?!

Einblicke in die Ergotherapie – Interview mit Anne Lux

Heute ist Anne Lux bei mir im Interview. Sie ist seit einiger Zeit meine Ergotherapeutin und arbeitet im Therapie- und Rückenzentrum in Wermelskirchen. Und wir sprechen im Interview über ihre

  • Erfahrungen in der Ergotherapie,
  • ihre Tipps für Menschen mit Hemiparese,
  • darüber, ob Ergotherapie auch 5 Jahre nach dem Schlaganfall noch hilfreich sein kann uvm. 

Hallo Anne, toll, dass Du da bist! Erzähl doch mal zum Einstieg:

Wie bist Du darauf gekommen, Ergotherapeutin zu werden? Was hat Dich motiviert?

Anne:

Es war mir besonders wichtig, in einem Beruf zu arbeiten, bei dem ich in direktem Kontakt zu Menschen stehe.
Ergotherapie ermöglicht es mir, Menschen zu unterstützen und ihnen zu helfen, in ihrem Alltag besser zurechtzukommen.
In der Ergotherapie gibt es ein großes Spektrum an Krankheitsbildern, die behandelt werden.
Dies macht den Beruf sehr abwechslungsreich und ermöglicht es mir, mich auf bestimmte Bereiche zu spezialisieren, die mich besonders interessieren.

Janina:

Ach mega, mit Menschen arbeiten wollte ich auch immer. Jede/r ist so unterschiedlich, einen erwartet immer etwas Neues in der Arbeit. Und jede/r braucht anderes. 

Bei mir war es so: Ich habe nach der Schule angefangen, Erziehungswissenschaften zu studieren und parallel auch meine Coaching- und Beraterausbildung gemacht. Wie war das bei Dir…

Welche Ausbildung hast Du gemacht?

Anne:

Nach einem Sozialen Jahr im Bereich der Arbeitstherapie (Ein Bereich in der Ergotherapie), habe ich eine dreijährige Ausbildung zur Ergotherapeutin gemacht.
Davon waren zwei Jahre theoretischer Unterricht und ein Jahr Praxis in verschiedenen Einrichtungen.

Janina: 

Super spannend! Ich denke, Praxis ist das A und O, hätte ich auch gerne im Studium mehr gehabt. Ich glaube, das hilft sehr dabei, herauszufinden, wo man arbeiten will und auch mit welchen Menschen. Apropos… 

Wer kommt eigentlich zu Dir in die Behandlung? Eher Erwachsene? Kinder? Mit welchen Diagnosen?

Anne:

Mein Arbeitsfeld bezieht sich überwiegend  auf die Behandlung von Erwachsenen.
Ich arbeite viel mit Patienten aus der Neurologie und Handtherapie.
In der Neurologie arbeite ich mit Schädigungen des Nervensystems, bedingt durch Ereignisse, wie z.B.:

–           Schlaganfall, Schädelhirntrauma, Cerebralparese
–           M. Parkinson, Multiple Sklerose

Es bildet sich hier ein großes Spektrum an Symptomen. So groß die Menge an unterschiedlichen Symptomen ist, so unterschiedlich ist auch die Therapie mit den Menschen.
Es können zwei Klienten die gleiche Erkrankung haben und trotzdem ist der Therapieinhalt nicht zu vergleichen, da beide ganz unterschiedliche Ziele und Prioritäten in die Therapie legen.

Janina:

Das glaube ich und kenne es auch aus meiner Arbeit. Jede/r hat andere Ziele und Wünsche. Mit dem/der einen KlientIn arbeite ich am Thema: „Wie kann ich auch mit Handicap mehr Selbstvertrauen aufbauen?“ Bei dem/der anderen geht`s um die Frage: „Wie kann ich mehr im Alltag an meine betroffene Hand denken, sie mehr einsetzen?“ Und wiederum mit einem/einer anderen KlientIn bespreche ich, wie er bzw. sie für sich eine gut Balance findet aus Training/Üben, aber auch Pausen. Das macht die Arbeit so vielfältig.

Ebenfalls eine spannende Frage:

Was ist aus Deiner Sicht wichtig für eine gelungene Ergotherapie? Und welche Rolle spielt der/die PatientIn selbst dabei?

Anne:

Wichtig für eine erfolgreiche Therapie ist aus meiner Sicht vor allem das selbstständige Üben und Wiederholen von Gelerntem.
In der Ergotherapie wird gemeinsam mit dem Klienten nach Zielen geschaut und Aufgaben/Übungen erarbeitet, die auf das Erreichen des Ziels hinarbeiten.
Da die Therapie meist nur 1-2 Mal die Woche stattfindet, ist es sehr wichtig, auch eigenständig an diesem Ziel zu arbeiten und eventuell bestimmte Übungen feste in den Tagesablauf zu integrieren, soweit dies möglich ist.

Janina:

Absolut, diese Erfahrung mache ich auch immer wieder. Die Zeit in der Therapie ist unheimlich wertvoll. Gleichzeitig ist sie meist max. 45 Min. lang (je nach Therapie) und das reicht nicht aus, um Ziele zu erreichen. Es braucht die Zeit dazwischen, die man immer wieder aktiv nutzt. 

Deshalb finde ich es auch so toll, dass wir beide in unseren Therapieeinheiten wirklich immer Übungen erarbeiten, die ich nutzen kann. Z.B. jetzt gerade, um mit meiner rechten Hand Schreiben zu üben.

Noch vor ein paar Monaten haben wir beidhändiges Einpacken am Kassenband geübt. Das Kassenband war unser Behandlungstisch. Es war so klasse und ich habe es zu Hause mit meinem Mann weitergeübt. Mittlerweile bin ich beim beidhändigen Einbacken deutlich schneller.

Wir haben schon so vieles geübt, um meine Motorik zu verbessern. Und das bringt mich zur nächsten Frage:

Gibt es etwas, dass für Menschen mit Hemiparese in der Therapie besonders hilfreich für die Motorikverbesserung ist? Mit dem Du gute Erfahrungen gesammelt hast?

Anne:

Zunächst lässt sich sagen, dass die Ergotherapie aus individuell angepassten Übungen und Behandlungen besteht, die auf die spezifischen Bedürfnisse der Klienten abgestimmt sind.
Es ist ein kontinuierlicher Prozess, der Geduld und regelmäßiges Training erfordert.

Wichtig für die Motorik-Verbesserung bei einer Hemiparese ist das Wahrnehmungstraining.
Hier habe ich schon häufig gute Erfahrungen mit der Spiegeltherapie.
Hierbei wird ein Spiegel verwendet, um dem Klienten ein visuelles Feedback zu geben. Indem er die „gesunde“ Hand vor den Spiegel hält und sich darauf konzentriert, werden Spiegelneuronen im Gehirn aktiviert, was helfen kann, die betroffene Seite besser zu nutzen.

Auch Sensibilisierungstechniken können hilfreich sein.  Hierbei kann die Stimulation durch Wärme- oder Kältebehandlung oder Vibration genutzt werden.
Aber auch die Stimulation mit Frischhaltefolie, die zum Beispiel eng um den Unter- und Oberarm gelegt wird, um die Wahrnehmung zu steigern, sehe ich als hilfreiches Mittel in der Therapie an. Während die Folie angelegt ist, werden beispielsweise Feinmotorik Übungen ausgeführt.
Übungen und Bewegungen vor dem Spiegel auszuführen, kann ebenfalls die Wahrnehmung des Körpers steigern, es hilft dabei, die Position um Raum besser zu erkennen.

Janina:

Ohja, das mit der Frischhaltefolie hat für mich auch sehr gut funktioniert. Es hat mir dabei geholfen, meine Finger besser zu spüren und sie dadurch leichter anzusteuern. Es lohnt sich, das mal auszuprobieren! Machen wir vielleicht bald auch nochmal zusammen, Anne ;).

Lust but not least:

Eine Frage von meinen LeserInnen war: Welche Erfahrungen hast Du gemacht – Kann Ergotherapie auch 5 Jahren nach dem Schlaganfall noch hilfreich sein?

Anne:

Auch nach fünf Jahren kann die Ergotherapie eine Hilfe sein. Es handelt sich um kontinuierliches Training, welches immer wieder an die aktuellen Bedürfnisse und Herausforderungen im Alltag angepasst wird. Es wird an den Dingen gearbeitet, die für die Klienten in diesem Zeitraum wichtig sind und mit den Jahren können hier immer wieder neue Dinge dazu kommen.

Janina:

Absolut, die Ziele verändern sich ja auch. Als ich mit 21 Jahren anfing, meine Hemiparese aktiv zu verbessern, wollte ich lernen, ein Sektglas mit der rechten Hand zu halten, später ganz „normal“ mit Messer und Gabel essen, heute schreiben mit rechts. Und ich denke, auch danach fallen mir viele weitere Dinge ein, die ich gerne können will. Der Alltag ist da eine super Inspiration.

Und wichtig ist, wie Du schon sagst, dranzubleiben und kontinuierlich zu trainieren. Am besten so, dass es Spaß macht, wie mit Dir in unserer Ergotherapie :).

Vielen Dank Dir, liebe Anne, für dieses Interview und Deine Zeit. Es war toll!

Schreibe gerne in die Kommentare:

Gehst Du aktuell auch zur Ergotherapie? Welche Erfahrungen hast Du dabei gesammelt? 

Ich freue mich auf Deinen Kommentar!

P.S.: Falls Du mehr über das Therapie- und Rückenzentrum, in dem Anne arbeitet, wissen willst, schaue mal hier vorbei: Hier geht`s zum Therapie- und Rückenzentrum Wermelskirchen (klick)>>

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