Warum ich mein Kind nie „Hemi-Kind“ nennen würde!
„Hat jemand von euch auch ein Hemi-Kind?“
Diese Frage habe ich vor kurzem in einem Internetforum gelesen; gestellt wurde sie von einer Mama.
Mich hat das ziemlich überrascht und auch ein bisschen erschreckt!
Hemi-Kind; Vermutlich meint die Mama das absolut nicht böse, vielleicht findet sie den Begriff auch einfach treffend oder ganz süß. Aber: Er hat eine Wirkung!
In dem Moment, indem sie ihr eigenes Kind als Hemi-Kind bezeichnet, reduziert sie es auf dessen Hemiparese; Der Fokus liegt ausschließlich auf der körperlichen Besonderheit.
Wenn ein Kind das mitbekommt…
… kann das ganz viel auslösen. Ist es noch relativ jung, könnte es sich fragen: „Warum nennt Mama/Papa mich so? Bin ich anders als andere Kinder? Warum bin ich anders?“.
Wenn das Kind schon älter ist, könnte der Begriff wie eine (unbewusste) Erinnerung wirken; eine Erinnerung an die vermeintliche Einschränkung, an das, was an ihm bzw. ihr nicht stimmt. Und das kann langfristig die Konsequenz haben, dass er/sie sich ebenfalls auf seine besondere körperliche Situation reduziert und gar nicht sieht, was ihn/sie darüberhinaus ausmacht; z.B. seine/ihre Stärken und Fähigkeiten.
Aber der Begriff wirkt auch, wenn das Kind gar nicht da ist… und zwar in der Mutter!
Alleine dadurch, dass sie das Wort Hemi-Kind öfter denkt, sagt oder schreibt, erinnert sie sich (unbewusst) selbst immer wieder an die vermeintliche Einschränkung ihres Kindes. Und aus Gesprächen mit einigen Müttern weiß ich, dass diese Erinnerung oft mit gemischten Gefühlen einhergeht.
Einerseits sind viele Eltern stolz auf ihre Kinder, weil sie auch mit der Hemiparese so viel schaffen. Sie freuen sich mit ihnen über jeden Fortschritt und sind optimistisch.
Andererseits kommt bei der Erinnerung bei vielen auch Traurigkeit hoch; u.a. deshalb, weil sie den Eindruck haben, ihre Kinder müssen sich überall durchboxen und haben es schwerer als andere Kinder. Bei anderen führt die Erinnerung zu einem Gefühl der Ungewissheit, weil so viele Fragen offen sind:
Wie wird sich mein Kind entwickeln?
Was wird es können, was nicht?
Wie wird es in der Kita bzw. in der Schule zurecht kommen?
All das kann EIN Wort auslösen!
Das lösen Worte in unserem Gehirn aus:
Vereinfacht gesagt: Wir denken oder sagen etwas, das löst Assoziationen und Erinnerungen aus und diese wiederum sind mit Gefühlen verbunden, die wir schließlich in uns wahrnehmen.
Und oftmals bekommen wir diesen Prozess nicht mal mit; Wir nehmen nur das Gefühl am Ende wahr. Wir sind fröhlich, fühlen uns traurig, niedergeschlagen, gestresst, wütend usw.
Deshalb lohnt es sich auf die eigenen Worte und Gedanken zu achten! Sie produzieren unsere Gefühle, mit denen wir den Tag über unterwegs sind.
Wenn Du Dein Kind schon mal als Hemi-Kind bezeichnet hast…
Du meintest es mit Sicherheit nicht böse oder gar abwertend. Ich empfehle Dir, prüfe mal für Dich:
Was löst dieses Wort in Dir aus, wenn Du es hörst?
Worauf legst Du dabei den Fokus?
Was denkst Du, löst es in Deinem Kind aus?
Und, wenn Du zu einem ähnlichen Ergebnis kommst wie ich, dann empfehle ich Dir, dieses Wort zu ersetzen. Statt Hemi-Kind könntest Du beispielsweise sagen:
„Mein Kind hat eine Hemiparese.“
Oder, wenn Du die Diagnose (der Begriff Hemiparese ist ziemlich sperrig) komplett außen vor lassen möchtest: „Mein Kind hat eine besondere Situation. Es bewegt seinen Arm, sein Bein einfach ein bisschen anders als andere Kinder.“
Welche Erfahrungen hast Du gemacht, wenn Du über das Handicap Deiner Tochter, Deines Sohns sprichst?
Schreibe es in die Kommentare! Ich freue mich darauf.
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