Wie behindert bist du eigentlich?!

Alles verdrängen oder was?

Nachdem meine Eltern von meiner besonderen körperlichen Situation erfahren hatten, war es ihr oberstes Ziel, mich in meiner Beweglichkeit und Mobilität zu fördern.

Ich sollte möglichst normal laufen lernen und meine rechte Hand beim Tragen von Gegenständen, beim Essen sowie beim Spielen immer mit einsetzen. Sie förderten mich durch Ergo- und Physiotherapie und übten mit mir beinahe täglich zu Hause. Letzen Endes wollten sie mir es ermöglichen, dass ich trotz meiner ,,Behinderung“ unabhängig und selbstbestimmt leben kann. Ich bin ihnen sehr dankbar für diesen Einsatz.

Für mich hat sich innerhalb meiner Kindheit aus dem Ziel meiner Eltern ein weiteres Ziel ergeben.

Ich wollte meine körperliche Situation möglichst lange vor anderen verheimlichen. Wenn ich Menschen kennenlernte, war es mir wichtig, dass niemand bemerkte, dass ich anders lief als andere und meine rechte Hand weniger bewegte als die linke. Ich wollte selbst vergessen, dass ich eingeschränkt war. Ich wollte normal sein, nicht auffallen und genau das tun, was andere taten. Insofern ging es mir darum, einen Teil von mir zu verbergen und vielleicht sogar zu verdrängen.

Das Problem hierbei: Verdrängung führt zu Passivität!

Wenn ich meine körperliche Situation verdränge, bin ich nicht dazu in der Lage, etwas an ihr zu verändern.

Heute habe ich immer noch den Wunsch normal und gesund zu sein. Ich möchte genauso beweglich sein wie andere und Hobbys ausführen, für die man zwei gesunde Hände, Arme, Beine und Füße braucht; zum Beispiel tanzen und schauspielern. Dennoch geht es mir heute nicht mehr darum, meine körperliche Situation zu verstecken und zu vergessen.

Im Gegenteil, ich nehme mich und meinen Körper ganz bewusst wahr!

Denn nur dadurch finde ich heraus, was ich schon kann und was ich noch lernen will. Mit anderen Worten: Durch die bewusste Wahrnehmung kann ich meine körperliche Situation beeinflussen und verändern.

Für den Anfang beschränkte ich mich für die bewusste Wahrnehmung auf das Beobachten meiner rechten Hand.

Hierbei war ich zunächst ziemlich enttäuscht von mir selbst. Meine rechte Hand sah aus meiner Sicht bei vielen Bewegungen, die ich mit ihr ausführte, ziemlich bescheuert und so gar nicht normal aus. Das machte mich einerseits traurig. Schließlich war es mir ja wichtig, gesund auszusehen. Doch andererseits motivierte es mich auch, mir Ziele zu setzen und täglich mit meiner Hand zu trainieren.

Und schon bald bemerkte ich, dass ich sehr wohl einiges mit der rechten Hand schaffte!

Ich konnte zum Beispiel ein Herz mit den Daumen und Zeigefinger beider Hände formen.
Außerdem war es mir bereits ohne viel Übung möglich, ein Sektglas mit der rechten Hand zu halten! Ich war somit in der Lage, mit der rechten Hand etwas zu trinken! Das hätte ich mir früher niemals zugetraut.

Ich habe daraus gelernt, dass es unglaublich wichtig ist, sich selbst und die eigene körperliche Situation wahrzunehmen und sich des Ist-Zustandes bewusst zu werden.

Vielleicht ist dies zunächst neu und anstrengend für jemanden, der sein Leben lang versucht hat, die eigenen Einschränkungen so gut es geht zu verdrängen. Doch man wird in jedem Fall dafür belohnt. Durch das Verdrängen der eigenen Situation vergisst man nämlich nicht nur, dass man dies und jenes nicht kann, man übersieht auch, was man kann. Und genau letzteres wird ersichtlich, wenn man sich traut, sich selbst zu beobachten.

Wie stehst Du zu diesem Thema?

Ist es Dir ebenfalls wichtig, etwas an Dir, das Dir störend erscheint, zu verstecken? Wie gehst Du damit um?

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