„Janina, wurdest Du in der Schule wegen Deiner Hemiparese gemobbt?“
Diese Frage taucht in nahezu jedem Eltern-Coaching auf. Daher habe ich mir gedacht: Darüber muss ich unbedingt mal schreiben!
Doch vorab eine kurze Definition:
Ab wann spricht man von Mobbing?
Man spricht von Mobbing, wenn man über einen längeren Zeitraum (ca. ein halbes Jahr) regemäßig (ca. 1x pro Woche) und systematisch geärgert, angegriffen oder schikaniert wird.
Ab einem halben Jahr spricht man erst von Mobbing! Das war mir im Vorfeld auch noch nicht so klar. Wir verwenden den Begriff einfach sehr oft und schnell.
Meine Erfahrungen
Der Definition zufolge kann ich sagen, dass ich bisher nie gemobbt wurde.
Aber klar, ich wurde häufiger gehänselt und geärgert. Und ja, auch wegen meiner Hemiparese, insbesondere in der 1. Klasse. Vermutlich, weil damals keiner so richtig meine Hemiparese verstand und sie bei den anderen Kindern Unsicherheit auslöste.
Eine Situation sehe ich bis heute vor mir:
Der letzte Schultag in der 1. Klasse hatte begonnen. Unser Lehrer gab mir einen Stapel Papier in die Hand, den ich austeilen sollte. Natürlich brauchte ich viel länger dafür als die anderen Kinder, die sonst austeilten. Denn ich war auf meiner Schule lange Zeit die Einzige mit Handicap.
Dennoch: Jeder von uns hatte immer mal wieder „Austeildienst“. Heute war ich dran.
Als ich an einem Tisch mit zwei Jungs vorbeiging, hörte ich schon Getuschel. Und dann rief einer der beiden so etwas wie: „Ey, Du Behindertensau, jetzt mach` doch mal schneller!“
Ich war sprachlos.
Gleichzeitig muss ich auch erwähnen: Ich selbst war nicht untätig während dieser Zeit. Denn auch ich konnte gut ärgern, provozieren und manchmal auch hänseln!
Ich erinnere mich z.B., dass wir in der 2. Klasse eine meiner Freundinnen mal mehrere Wochen im Schulbus gehänselt und ausgeschlossen hatten – ca. 6 Kinder gegen eins. Das Ganze ging so weit, dass das Mädchen am Ende bei der Busfahrerin sitzen musste. Und ich war beim Hänseln ganz vorne mit dabei!
Heute frage ich mich: Warum???
Und es gab immer wieder auch die Momente, in denen ich für andere, die geärgert wurden, in die Bresche sprang. Ich verteidigte sie vor den anderen, setzte mich für sie ein, ermutigte sie, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Man könnte sagen: Ich habe während meiner Schulzeit alle Rollen kennengelernt. Ich war mal „Opfer“ und wurde gehänselt. Ich war auch mal „Verfolgerin“ und habe selbst angegriffen. Ich war „Mitläuferin“ und habe zugesehen. Und ich war auch mal „Retterin“ von anderen, die schikaniert wurden.
Und ich glaube:
Die meisten Kinder erleben genau das auch!
Wir lernen im Laufe unseres Lebens alle Rollen kennen, die eine mehr, die andere weniger. Aber wir kennen sie alle – Handicap hin oder her.
Welche Rolle spielt das Handicap?
Meine Hemiparese hat nach dem 1. Schuljahr in vielen Situationen gar keine Rolle mehr gespielt – Klar, bei handwerklichen Dingen oder im Sportunterricht schon, jedoch nicht mehr zwischen mir und meinen KlassenkameradInnen.
Ich war nie besonders beliebt. Das auch, weil ich nicht so gerne im Mittelpunkt stand.
Aber ich hatte immer ein paar Freundinnen, mit denen ich mich gut verstand und viel erlebte. Und es gab viele Jahre, in denen ich überhaupt nicht gehänselt oder geärgert wurde!
Im Gegenteil, manchmal wurde ich sogar von allen angefeuert, wenn ich mich etwas nicht traute (z.B. vom Dreimeterturm zu springen oder im Kletterpark ein Hindernis zu überwinden). Daran erinnere ich mich noch sehr gut. Es war ein tolles Gefühl!
Wegen meines Handicaps wurde ich von meinen Klassenkameraden nie wieder gehänselt oder geärgert.
Eine große Sorge
Ich weiß, dass eine der größten Sorgen vieler Eltern ist, dass Ihr Kind aufgrund seines Handicaps gehänselt wird, vielleicht auch deutlich mehr als andere. Wenn das Kind dann noch andere „Auffälligkeiten“ hat und z.B. eine große Brille trägt, sprachliche Schwierigkeiten hat oder sehr klein und schmächtig ist, wird die Sorge oft noch größer.
Und das kann ich gut nachvollziehen! Schließlich haben wir selbst die Schulzeit erlebt und wissen: Kinder können echt fies sein! Dafür braucht es nicht mal eine Hemiparese!
Und Hänselei und Mobbing in der Schule sind Themen, die man unbedingt ernstnehmen muss!
Sollte Dein Kind regelmäßig geärgert oder ausgeschlossen werden, schau da unbedingt näher hin! Überlegt ggf. gemeinsam:
- Was können wir tun, um die Situation zu verändern?
- Mit wem können wir sprechen?
- Wer könnte uns helfen?
Was mir gleichzeitig wichtig ist:
Dir ein wenig die Angst zu nehmen und Dir zu zeigen:
Es muss gar nicht sein, dass Dein Kind (häufiger) gehänselt wird!
Im Gegenteil, ich kenne Kinder mit Handicap, die bisher überhaupt nicht gehänselt oder geärgert wurden – weder wegen ihrer Hemiparese noch wegen anderer Dinge.
Wiederum andere Kinder, mit denen ich zusammengearbeitet habe, konnten ihrerseits sehr gut austeilen und andere aufziehen – Handicap hin oder her.
Und ich kenne wiederum Kinder, die anfangs ein, zwei blöde Sprüche zu ihrem Handicap kassiert haben. Sie konterten daraufhin mit einem frechen Spruche und die Sache war gegessen.
Falls Dein Kind bald eingeschult wird oder gerade eingeschult wurde:
Ich wünsche Dir und Euch ganz viel Mut und Zuversicht für diese spannende, manchmal herausfordernde, aber auch tolle Zeit!
Schreibe gerne mal in die Kommentare:
Was geht Dir durch den Kopf, wenn Du an die (erste) Schulzeit Deines Kindes denkst?
Ein Kommentar
Danke für deinen Beitrag, ich befasse mich gerade mit dem Thema! Ich bin selber früher ganz schlimm gemobbt wurden und ich bin kerngesund. Meine Tochter aber hat eine körperliche Behinderung und ich sorge mich sehr….nächstes Jahr geht die Schule los und hoffe so sehr dass es nicht zu Mobbing kommt …….