Mitleid ist nicht mein Ding!
Es war ein sonniger Dienstagnachmittag. Ich war gerade für meinen Nebenjob als Beraterin in der EUTB tätig.
(Die EUTB berät Menschen mit körperlichen oder psychischen „Beeinträchtigungen“ u.a. zum Thema Schwerbehindertenausweis, persönliche Assistenz, Hilfsmitteln, Arbeit mit Handicap, Pflege uvm.).
Ich saß gerade hinter meinem Schreibtisch im EUTB-Büro, als eine Frau mittleren Alters hereinkam. Nennen wir sie hier mal Frau Meier.
Frau Meier wollte Flyer von ihrer Selbsthilfe-Gruppe bei uns auslegen.
Wir setzten uns zusammen und kamen ins Gespräch über ihre Gruppe, warum sie sie leitete, wobei sie und die Gruppe helfen konnten usw. Die EUTB hilft Menschen oftmals dabei, mögliche Anlaufstellen wie weiterführende Beratungsangebote oder auch Selbsthilfe-Gruppen zu finden. Deshalb ist auch die Gruppe von Frau Meier interessant für unsere Arbeit.
Auf einmal sagte Frau Meier zu mir:
„Und Sie kenne ich auch. Ich habe einen Zeitungsbericht über Sie gelesen. Sie haben da doch was auf ihrer rechten Seite oder? Eine Lähmung oder ähnliches?“
Ich nickte und wollte gerade etwas sagen, da erwiderte sie bereits:
„Sie Ärmste. Das tut mir leid. Das muss schwer sein.“
Ganz ehrlich: Ich bin mir nicht mehr zu 100 % sicher, ob sie genau das gesagt hat, aber es war auf jeden Fall etwas ähnliches.
Und Aussagen wie diese finde ich immer schwierig!
Keine Frage, Frau Meier meinte es absolut nicht böse. Sie hat vermutlich gedacht, ich leide unter meiner Situation und wollte mir damit ihre Anteilnahme zeigen.
Und gleichzeitig finde ich es blöd, dass sie gleich davon ausging, dass ich es schwer habe, vielleicht sogar leide. Und nicht nur sie, auch viele andere tun das. Ich habe Situationen wie diese schon oft erlebt; früher deutlich häufiger als heute, aber dennoch.
Ich habe nicht das Gefühl, ein besonders schwieriges Leben zu führen!
Im Gegenteil, ich bin sehr glücklich, habe einen wundervollen Mann, eine tolle Familie und Freunde. Und dank meiner Hemiparese habe ich den tollsten Job der Welt!
Klar nervt mich meine körperliche Situation manchmal und klar würde ich gerne noch mehr mit meiner rechten Hand und meinem rechten Fuß schaffen. Aber leiden muss ich unter meiner Situation absolut nicht!
Gleichzeitig ist mir bewusst:
Es gibt einige Menschen mit körperlichem Handicap, die unter ihrer Situation leiden und die es deutlich schwerer haben als ich.
Aber auch sie werden mit der Aussage „Das tut mir leid. Das muss schwer sein.“ daran erinnert. Die Konsequenz: ein negatives Gefühl, meistens sogar auf beiden Seiten.
Ähnlich war es auch bei mir.
Vielleicht fragst Du Dich jetzt:
Okay, aber wie kann man`s besser machen?
Wie hätte Frau Meier anders reagieren können?
Dazu habe ich mir in den letzten Tagen auch immer wieder Gedanken gemacht. Ich glaube, es wäre vermessen zu sagen, darauf gibt es die EINE richtige Antwort. In diesen Situationen ist definitiv Fingerspitzengefühl gefragt.
Was ich deutlich angenehmer empfunden hätte: Sie hätte vielleicht gefragt: „Wie geht`s Ihnen damit?“
Diese Frage ist neutral und ich kann selbst entscheiden, wie ich sie beantworte (eher positiv oder negativ) und auch wie ausführlich ich auf sie eingehe.
Und wenn sich dann herausstellt, ich leide unter meiner Situation, wäre Anteilnahme vielleicht sogar hilfreich gewesen.
Aber wenn sich zeigt, mir geht`s gut damit, dann ist sie nicht notwendig, im Gegenteil, sie könnte sogar demotivieren.
Wiederum andere finden es vielleicht unangenehm, eine solche Frage gestellt zu bekommen…
… weil sie sich dann möglicherweise gezwungen fühlen, über ihr Handicap zu sprechen.
Eine andere Möglichkeit wäre:
Man reagiert neutral. Man sagt z.B., nachdem man erfahren hat, dass der bzw. die Gesprächspartner(in) ein Handicap hat: „Ah okay.“ oder „Ah, verstehe.“ und wartet einen Moment ab.
Dann hat der/die andere die Möglichkeit, entweder mehr darüber zu erzählen oder auch deutlich zu machen, dass er/sie gerade nicht darüber sprechen will und das Thema zu wechseln.
Was wäre für Dich eine gute Reaktion Deines Gesprächspartners bzw. Deiner Gesprächspartnerin?
Ich weiß: Wir sind hier nicht bei „Wünsch Dir was!“
Wir können anderen nicht im Vorfeld sagen, wie sie reagieren oder was sie sagen sollen. Wir können dazu anregen, aber darüber hinaus nicht mehr.
Was wir aber in der Hand haben, ist unsere eigene Reaktion!
Und ich muss ganz ehrlich sagen: Ich war früher immer kurz sprachlos, wenn mir jemand gesagt hat: „Sie Ärmste.“ oder „Das tut mir leid.“
Ich wusste nie, wie ich darauf reagieren sollte…
Vielleicht mit: „Ja, danke.“? oder: „Nein, das muss es nicht…“?
Dann habe ich mich mehr damit befasst und überlegt:
Wie will ich eigentlich darauf reagieren? Und was ist mein Ziel dabei?
Wenn ich mir beispielsweise mal Anteilnahme wünsche, vielleicht sogar ein klein wenig Mitleid, dann bin ich ja schon unmittelbar am Ziel. Ich muss vielleicht noch einmal bestätigen: „Ja, es ist gerade wirklich herausfordernd.“ und schon bekomme ich das, was ich mir gerade wünsche. Das ist gelegentlich und je nach Situation ja auch absolut okay.
Wenn ich aber dem/der anderen zeigen will, ich bin okay damit oder mir geht`s gut damit, dann muss ich das auch deutlich sagen und am besten währenddessen auch fühlen.
Ich sage z.B. gerne:
„Hey, danke für Deine/Ihre Anteilnahme und gleichzeitig kann ich einfach sagen: Mir geht`s gut damit! Ich schaffe auch mit Hemiparese das, was ich können will und merke immer wieder, es geht vorwärts.“
Und zack ist eine andere Stimmung im Raum!
Gerade bei dem Satz „… es geht vorwärts.“ stelle ich immer wieder fest: Er lenkt das Gehirn meines Gesprächspartners bzw. meiner Gesprächspartnerin in eine andere Richtung, weg vom Negativen hin ins Positive.
Und das führt dazu, dass auch unser Gespräch in der Regel genau in diese Richtung verläuft. Wir sprechen über das, was (schon) möglich ist, nicht über das, was (noch) nicht geht.
Oder aber wir wechseln relativ zügig das Thema, weil der/die andere ja weiß:
„Alles gut. Mir geht`s gut damit.“
Genau deshalb reagiere ich meistens genau so.
Kennst Du Situationen wie diese? Dass Du das Gefühl hast, bemitleidet zu werden, ohne dass Du es willst? Wie gehst Du damit um? Ähnlich wie ich oder doch ganz anders?
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