Wie ich meine 1. Klientin traf
Ich kann es kaum glauben, dass es schon fast 5 Jahre her ist, seitdem ich meine erste Klientin getroffen habe.
Es war ein warmer, Frühlingstag in 2017.
Die Sonne schien und ich machte mich gerade auf den Weg zu einer Freundin. Wir waren zu einem Filmabend verabredet.
Ich ging zu fuß, da meine Freundin nur 20 Min. entfernt wohnte.
Ich lief durch die Straßen mit meinen Kopfhörern im Ohr und auf einmal hörte ich eine laute Stimme, die rief:
„Hallo, Du hast das Gleiche wie ich.“
Ich erschrak, sah mich um und bemerkte, dass mir von rechts eine Frau entgegen kam. Ich stellte fest, dass sie leicht humpelte.
Ich sagte: „Bitte was?“ und nahm meinen linken Kopfhörer aus dem Ohr.
Sie wiederholte: „Ich glaube, Du hast das Gleiche wie ich. Du hast eine Hemiparese.“
Ich war zunächst baff…
… weil mich noch nie jemand auf der Straße auf meine körperliche Situation angesprochen hatte. Zumal ich auch wusste, dass die wenigsten Menschen es sofort erkannten.
Sie sah meinen verdutzen Blick und sagte gleich: „Ich war einige Zeit in Reha und habe viele Menschen mit der Behinderung kennengelernt. Daher sehe ich das.“
Heute, da ich viele Menschen mit Hemiparese getroffen und mit ihnen gearbeitet habe, kann ich sagen: Ja, man entwickelt einen Blick dafür.
Aber damals fand ich ihre schnelle Feststellung sehr beeindruckend und ein wenig gruselig. Schließlich war ich doch gerade dabei, meine Hemiparese zu verbessern, so dass man sie mir nicht mehr ansah.
Ich fand endlich meine Stimme wieder und erwiderte:
„Ja, ich habe eine Hemiparese. Und Du auch?“
Sie nickte. „Ja, ich hatte vor einiger Zeit einen Unfall mit meinem Surfbrett. Genickbruch. Übrig geblieben ist eine Hemiparese.“
Jetzt sah ich genauer hin und merkte, dass sie ihren rechten Arm angewinkelt hielt und ihre Hand leicht nach unten geknickt war. Ja, das war typisch für Hemiparese.
„Ach wow.“, sagte ich, „Da hast Du einiges erlebt.“
Die Frau nickte und wir unterhielten uns ein paar Minuten. Sie wollte wissen, wie es bei mir dazu kam, wie es mir heute geht und was ich beruflich mache. Wir sprachen auch über sie, ihren neuen Alltag mit Handicap und ihren Beruf als Schauspielerin.
Nach 10 Minuten sah ich auf die Uhr und bemerkte, eigentlich sollte ich jetzt schon bei meiner Freundin sein. Sie wartete bestimmt schon.
Ich musste los. Wir tauschten Handynummern aus, verabschiedeten uns und ich ging weiter. Ich dachte noch lange an sie.
Wir hielten jedoch wenig Kontakt, schrieben nur ein paar Mal miteinander. Ich ging erst einmal meinen Weg weiter, arbeitete an meiner Hemiparese, setzte mein Studium fort und meine Coaching- und Beraterausbildung.
Ungefähr ein Jahr entwickelten mein Coach und ich die Idee:
Ich könnte zukünftig Erwachsene coachen, die eine ähnliche körperliche Situation haben wie ich. Ich könnte ihnen die Strategien und Techniken zeigen, die mir dabei geholfen haben, meine Hemiparese zu verbessern und z.B. einen ganz normalen Automatikführerschein zu machen.
Und da kam mir der Einfall:
Die Frau, die ich vor einem Jahr auf der Straße kennengelernt hatte, könnte meine erste Klientin werden. Sie war nett und schon damals in unserem kurzen Gespräch hatte ich erkannt:
Sie hat ihre rechte Hand aufgegeben. Sie glaubte nicht mehr daran, dass sie noch viel mit ihr schaffen würde.
Vielleicht könnte ich ihr neuen Mut machen. Schließlich bin ich auch viele Jahre davon ausgegangen: Ich kann nichts verbessern. Und ich brauchte einen Coach, der genau das hinterfragte und sich mit mir gemeinsam auf den Weg machte.
Ich war total nervös, als ich ihr via WhatsApp u.a. schrieb:
„Hättest Du Lust, mein Coaching zu testen?“
Sie antwortete nicht gleich, auch nicht nach 3 oder 4 Tagen. Ich war schon kurz davor, die Hoffnung aufzugeben, als sie mir nach 7 Tagen schrieb: Sie habe große Lust auf das Coaching.
Wir vereinbarten ein Telefonat und schon bald wurde sie meine 1. Klientin. Ich muss bis heute lächeln, wenn ich daran denke, wie aufgeregt ich vor jedem Coaching mit ihr war. Klar, sie war meine 1. Klientin, Aufregung ist da ganz normal.
Und ich muss lächeln bei dem Gedanken, was wir alles zusammen geschafft haben!
Innerhalb von 12 Wochen konnte sie mit ihrer rechten Hand wieder schreiben und zusammen mit ihrem Sohn bei ihrem Lieblingschinesen mit Stäbchen essen. Und das ebenfalls mit ihrer rechten Hand. Ich schaffe das kaum mit meiner linken. Der Hammer!
Ich bin bis heute so dankbar,…
… dass wir uns damals auf der Straße begegnet sind und wir zusammengearbeitet haben. Das hat auch mir sehr viel Mut gemacht und mich darin bestärkt, Coach zu werden.
Seitdem konnte ich inzwischen vielen Erwachsenen mit Handicap helfen, später auch Kindern und Eltern von Kindern mit Handicap. Und das macht mich mega happy.
Ich wollte diese Geschichte einfach mal mit Dir teilen, weil ich gerade daran denken musste. Und auch, weil ganz bald schon ein weiteres Jubiläum ansteht:
Mein Blog „Wie behindert bist Du eigentlich?“ wird in wenigen Tagen 5 Jahre alt! Und Du kannst Dich schon mal freuen, denn es wird eine Überraschung geben!
Worum es genau geht, will ich natürlich jetzt noch nicht verraten! Sei gespannt!
Einen wunderschönen Tag Dir!
Ganz viele Grüße,
Janina
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