Wie behindert bist du eigentlich?!

Für meinen Bruder zählte meine Hemiparese nicht; oder besser die Ausrede!

Ich wuchs zu Hause mit 3 großen Brüdern auf. Bei uns war eigentlich immer viel Trubel.

Mein ältester Bruder ist immer 10 Jahre älter als ich. Dementsprechend befand und befinden wir uns immer in komplett unterschiedlichen Lebensphasen.

Als ich mit Barbie und Playmobile spielte, hatte er seine ersten Mädels am Start. Als ich aufhörte, damit zu spielen, war er schon mitten in seinem Studium. Wir verbrachten deshalb nicht allzu viel Zeit miteinander.

Aber wenn wir etwas zusammen machten, dann etwas Sportliches!

Mein Bruder ist total sportbegeistert und gerne aktiv. Dementsprechend wollte er auch mit mir oft etwas Aktives machen; meistens zu meinem Leidwesen, denn ich war früher alles andere als sportlich. Schließlich bildete ich mir ein, ich könnte das mit meiner rechtsseitigen Hemiparese auch gar nicht.

Für meinen Bruder zählte diese Ausrede nicht!

Er ging mit mir joggen, übte mit mir Weitsprung, fuhr ein paar Mal mit mir Ski und jagte mich einmal mit einem Surfbrett über die Wupper (ein kleiner Fluss im Bergischen Land). Er forderte mich jedes Mal heraus, während meine Eltern und meine zwei anderen Brüder in der Regel darauf bedacht waren, mich zwar zu fördern, aber keinesfalls zu überfordern.

Einmal, als wir skilaufen waren…

Früher hatte Remscheid, die Stadt, aus der ich ursprünglich komme, einen kleinen Skilift; der Skilift am Hohenhagen. Im Winter war er auch zwischendurch mal geöffnet.

Einmal fuhr ich mit meinem großen Bruder dort; er auf dem Snowboard, ich auf Skiern. Ich schätze, ich war ungefähr 6 oder 7 Jahre alt und hatte schon ein, zwei Jahre Ski-Praxis. Nach 5 oder 6 kurzen Abfahrten war ich allerdings meistens völlig k.o. und wollte aufhören. Eigentlich war das auch so, als ich mit meinem Bruder fuhr, aber er wollte mich mal wieder so richtig fordern.

Er ließ mich kurz mitten auf der Piste pausieren, dann ging es auch schon weiter. Jegliches Meckern meinerseits (ich könnte wegen meiner Hemiparese nicht mehr) stieß bei ihm auf taube Ohren!

Im Nachhinein war das super: Denn ich schaffte dieses eine Mal doppelt so viele Pistenabfahrten wie sonst, was mich mega stolz machte!

Das Gleiche, als mein Bruder und ich mit Surfbrettern über die Wupper düsten!

Es war Sommer, total heiß und ich zitterte wie sonst nichts. Ich hatte eine Heidenangst! Das Surfbrett, auf dem ich saß, wackelte, ich kippte mehrmals zur Seite und das blöde Paddel fiel mir auch immer wieder aus den Händen.

Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir diesen Ausflug spätestens nach 2 Minuten für gescheitert erklärt und wir  wären nach Hause gefahren. Aber mein Bruder blieb wieder einmal hartnäckig! Ich hätte ihn zum Mond schießen können!

Doch am Ende habe ich es dann doch geschafft: Wir kamen heil unten an. Das Sitz-Surfen hat funktioniert! Wieder war ich ziemlich stolz auf mich und froh, doch drangeblieben zu sein.

Im Nachhinein bin ich meinem Bruder genau für diese gemeinsamen Aktivitäten dankbar!

Er hat mir dabei geholfen, über mich selbst hinauszuwachsen; Hemiparese hin oder her.

Generell hat für ihn meine körperliche Situation immer eine untergeordnete Rolle gespielt. Das unterschied ihn ein bisschen von dem Rest meiner Familie, die wie gesagt, doch immer sehr darauf bedacht war, mich mehr oder weniger zu schonen.

Und beides war aus meiner heutigen Sicht super!

Hätte ich nur Menschen um mich herum gehabt, die mich fordern, fordern, fordern, wäre das mit Sicherheit absolut nicht zielführend gewesen. Im Gegenteil, es hätte vermutlich meine Ängste noch verstärkt.

Gleichzeitig ist zu viel Schonen natürlich auch nicht sinnvoll. Die Mischung hat`s gebracht!

Durch meinen großen Bruder habe ich mich Herausforderungen gestellt, an die ich zuvor nicht mal gedacht hätte!

Damals war ich deshalb oft sauer auf ihn, habe ihn verflucht. Heute bin ich froh darüber, denn vor vielem hätte ich sonst nach wie vor Angst, würde meine Hemiparese als Ausrede benutzen usw.

Heute übernimmt diese Aufgabe (das Mich-Herausfordern mit neuen Aktivitäten) immer wieder mein Verlobter. Heute mache ich das allerdings völlig freiwillig, weil ich weiß, dass mich das unglaublich vorwärts bringt; mich selbst, meinen Mut, mein Vertrauen in meinen Körper und auch meine Beweglichkeit.

Wie ist das bei Dir?

Hattest bzw. hast Du auch jemanden in Deiner Familie oder Deinem Umfeld, der Dich regelmäßig herausfordert?

Falls nicht, frage doch mal einen Freund, eine Freundin, ob er/sie diese Rolle übernimmt, sobald die Corona-Zeit vorbei ist. Wenn Du einen Mitbewohner, eine Mitbewohnerin fragst, geht`s natürlich auch jetzt schon!

Stellt Euch gemeinsam Dingen, von denen Du bisher denkst: „Schaffe ich das?“ oder auch: „Da habe ich Angst vor.“. Probiert sie aus, seid mutig; aber natürlich auch nicht leichtsinnig! Fangt bei etwas Kleinem an, wobei Dir Dein Freund, Deine Freundin im Notfall helfen kann. Und dann probiert größeres aus.

Ich bin sicher, es hilft Dir dabei, Deine Komfortzone um einiges auszubauen! Und: Gemeinsame Erfolge schweißen zusammen! Viel Erfolg und Spaß dabei!

Wer fordert Dich heraus? Und wie geht Ihr`s an?

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