Das kannst Du tun, wenn Du Dich nicht ernst genommen fühlst!
Ich hatte neulich einen super interessanten Austausch via E-Mail mit einer jungen Frau, die ebenfalls eine Hemiparese hat. Ich nenne sie hier mal Sandra.
Es ging um Sandras Umfeld; genauer gesagt ihre Freunde!
Sie schrieb, dass sie sich von ihnen oft nicht ernstgenommen fühlt, denn, wenn sie sie um Hilfe bittet, sagen viele von ihnen: „Probier`s erstmal alleine!“ und helfen ihr nicht.
Es ist nett gemeint. Sandra sagt, sie wollen sie nur unterstützen und ihr helfen, mehr alleine zu schaffen. Dennoch fühlt sie sich in dem Moment von ihren Freunden nicht verstanden und bevormundet.
Und aus meiner Sicht ist das absolut verständlich!
Schließlich kann und sollte jeder als Erwachsener selbst entscheiden, was er kann und wofür er sich Hilfe wünscht.
Auch mir ist das Thema nicht unbekannt!
Mein ältester Bruder hat früher oft gemeint, nachdem ich ihn um Hilfe gebeten habe: „Das kriegst Du alleine hin!“
Auch echt nett von ihm gemeint, er will mir damit helfen, trotzdem hat es mich als Teenagerin jedes Mal genervt.
Der Rest meiner Familie war da eher anders eingestellt. Sie haben mir eigentlich immer geholfen, wenn ich das wollte.
Aber sie haben mir auch vieles abgenommen, was ich eigentlich selbst schaffen wollte (z.B. den Koffer tragen, den Kuchen zu ende backen, weil ich etwas verschüttet hatte usw.). Und auch das hat bei mir oft dazu geführt, dass ich mich bevormundet gefühlt habe. Ich durfte nicht selbst entscheiden, was ich schaffe und was nicht.
Deshalb kann ich Sandras Gefühle ihren Freunden gegenüber auch unheimlich gut verstehen. Auf der einen Seite weiß man: Der andere meint es nur gut. Auf der anderen Seite fühlt man sich nicht wirklich ernstgenommen.
Kennst Du ähnliche Situationen auch von Dir?
Eine Sache hat mir unglaublich geholfen!
Und ich habe sie auch Sandra empfohlen. Es sind 3 Fragen, aber die haben es in sich, wenn man sich wirklich mit ihnen befasst.
1. Wie nimmst Du Dich selbst wahr, wenn Du Zeit mit anderen verbringst?
Oder auch: Was denkst Du über Dich, wenn Du mit anderen zusammen bist?
Als ich mir diese Fragen das erste Mal stellte, war ich gerade am Anfang meiner Coaching-Ausbildung und 20 Jahre alt. Und dabei wurde mir ziemlich schnell klar, dass ich mich oft hilflos fühlte. Ich lief permanent mit dem Gedanken rum: „Ich kann das eh` nicht!“ oder „Das wird schwierig für mich, weil ich ja diese Hemiparese habe!“
Im Nachhinein denke ich: Kein Wunder, dass mir immer wieder so vieles abgenommen wurde. Mein Vertrauen in mich selbst und meine Fähigkeiten musste erstmal wachsen. Ich musste mir erstmal selbst mehr zutrauen, damit es auch andere konnten.
Damals war diese Erkenntnis für mich nicht so toll, weil mir klar wurde, dass mein Umfeld eigentlich ein Spiegel meiner inneren Gedanken war. Ich war somit selbst daran beteiligt, dass mir andere so vieles abnahmen.
Dennoch war die Erkenntnis auch sehr hilfreich, weil ich ziemlich schnell verstand, dass ich Einfluss nehmen konnte, indem ich anfing, mir selbst mehr zuzutrauen.
2. Wie will ich mich zukünftig wahrnehmen? Wie sollen andere mich wahrnehmen?
Auch eine super interessante Frage, mit der ich mich vor meiner Ausbildung nie beschäftigt hatte. Ich habe immer geglaubt: Das kann ich doch nicht bestimmen! Und in gewisser Weise ist das ja auch so: Wir können nicht vorgeben, was andere über uns denken und was nicht. Wir können aber beeinflussen, was wir über uns selbst denken und wie wir uns verhalten. Und das wiederum beeinflusst die Wahrnehmung der anderen.
Wie will ich mich wahrnehmen? Na, als junge Frau, die selbstbewusst und motiviert ist, die Spaß daran hat, sich Herausforderungen zu stellen und die selbst entscheidet, wann sie Hilfe braucht und wann nicht.
Und schließlich 3. Was kann ich dafür tun, um so wahrgenommen zu werden? Wo kann ich Einfluss nehmen?
Für mich war diese Frage besonders knifflig. Wo kann ich Einfluss nehmen? „Ja, keine Ahnung!“, eine Zeit lang fiel mir nichts dazu ein. Vielleicht geht es Dir ähnlich, wenn Du Dir diese Frage stellst.
Dann aber kamen Ideen!
- Ich kann daran arbeiten, mir selbst mehr zuzutrauen; indem ich mehr ausprobiere, Ängste angehe und überwinde.
- Ich kann (nochmal) mit den Menschen sprechen, die mir immer so viel abnehmen und ihnen sagen: „Hey, lass mich mal machen. Ich frage Dich, wenn ich will, dass Du mir hilfst!“
- Ich kann auch mit meinem Bruder sprechen, der immer gesagt hat: „Los! Das schaffst Du alleine.“. Ich könnte ihm einfach mal sagen, dass ich weiß, er meint es gut, dass ich ab jetzt aber selbst entscheide, was ich kann und wobei ich mir Hilfe wünsche.
- Ich kann an meinem eigenen Selbstbewusstsein arbeiten, denn das brauche ich, um überhaupt diese Gespräche mit den anderen führen zu können. Es ist nicht einfach, anderen klipp und klar zu sagen: „Hey, lass mich bitte selbst entscheiden, was ich schaffe und was nicht!“ Das erfordert Mut und an dem kann ich arbeiten.
Wie Du wahrscheinlich mitbekommen hast, wenn Du mich schon länger verfolgst:
Viele dieser Ideen habe ich inzwischen umgesetzt bzw. setze sie nach wie vor um. Ich stelle mich immer wieder ganz bewusst meinen Ängsten (indem ich z.B. klettern gehe), wodurch mein Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten extrem wächst. Ich spreche mit anderen und sage ihnen, wenn ich keine Hilfe von ihnen will. Und auch mein Selbstbewusstsein ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen; alleine schon dadurch, dass ich hier und auf meinem Blog, in Videos und Coachings so viel über mich preisgebe. Früher hätte ich mich das nie getraut.
Ich glaube, ohne diese 3 Fragen wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Und ich merke: Es lohnt sich immer mal wieder, sich genau diese Fragen zu stellen, wenn ich das Gefühl habe, jemand anderes nimmt mich nicht ernst oder stellt sich über mich.
Mein Tipp:
Wenn auch Du immer mal wieder das Gefühl hast, da stellt sich jemand über Dich; entweder, weil Du Dir Hilfe wünschst, sie aber nicht bekommst oder auch, weil Du mehr Hilfe bekommst als Dir lieb ist:
Gehe diese 3 Fragen auch mal für Dich durch, mache Dir vielleicht sogar Notizen dazu. Es ist nicht unbedingt einfach, sie zu beantworten, vielleicht tun sie sogar etwas weh. Aber es lohnt sich! Denn am Ende stellt man oft fest:
Ich kann mehr beeinflussen und verändern, als ich dachte!
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